Bosch und Pitié im Theatermuseum Wien
Wien [ENA] Agathe Pitiés "Visionen des Jüngsten Gerichts" ist ein eigenartiges Werk. Dicht und oberflächlich, gruselig und ironisch zugleich. Und alle diese Inhalte in akribischen schwarz-grauen Strichzeichnungen, die schier endlos vier große Bögen Papier zu einem Bildformat von 200×280 cm vereinen. Um sich in diese Vielzahl von kleinen Details zu vertiefen, muss man schon nahe an das Bild herantreten.
Im wunderschönen Theatermuseum in Wien, das momentan auch die Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste beherbergt, hängt Pitiés Opus direkt vis a vis von Hieronymus Bosches herrlichen Triptycon, das einer der großen Meisterwerke der Kunst um 1500 ist. Zwei Höllen stehen sich gegenüber und während Bosch noch eine christliche Höllenfantasie darstellte, spielt Pitié mit den Höllenvorstellungen verschiedener Kulturen. Überhaupt ist Pitié ganz Kind unserer Zeit, noch ist vieles Spiel und ein gewisser träumerischer Umgang mit dem Bösen und Schrecklichen, dass man zwar genüsslich seziert, aber eben so als wäre es schmutziges Wasser, dass durch die Hände rinnt, die auf wunderbare Weise immer rein bleiben.
Klaus Speidel, Kurator der Ausstellung, interpretiert Pitiés Bildsprache als Plädoyer für den Multikulturalismus. So zeichnet die Künstlerin Figuren aus der Bibel, Flüsse aus dem Koran oder Bäume aus dem Walhalla. Heilige aus der katholischen Kirche behandelt sie mit der gleichen Aufmerksamkeit wie Disney-Prinzessinen und Netflix-Teufelchen. Klaus Speidel geht sogar so weit, Pitiés Arbeit als radikales Plädoyer für die Multikulturalität zu lesen. Diese Interpretation erinnert mich irgendwie an eine "gemähte Wiese".Alle vorher so geheimnisvollen Unterschiede, jene Unzahl an Blüten, Gräser und Sträucher, die in ihrer Eigenart ans Sonnenlicht strebten, sind jetzt ein ödes Stoppelfeld, das Raum für den selbstherrlichen Schnitter ist.